Nadeltest

Der Nadeltest zur Identifizierung von Hygieneverhalten bei Honigbienen: Methodik, Bedeutung und Perspektiven

Das Hygieneverhalten von Honigbienen stellt einen der zentralen Mechanismen dar, mit denen Bienenvölker ihre Gesundheit aufrechterhalten und gleichzeitig die Ausbreitung von Krankheiten und Parasiten wie Varroa destructor kontrollieren können. Die Fähigkeit der Arbeiterinnen, erkrankte oder parasitierte Brut frühzeitig zu erkennen, die entsprechenden Zellen zu öffnen und die betroffenen Larven zu entfernen, wird als Bruthygiene bezeichnet und ist ein Schlüsselmerkmal für die Selektion in der Zucht resistenter Völker. Der Nadeltest ist eine etablierte Methode, um das Hygieneverhalten gezielt zu messen und zu bewerten. In diesem Beitrag werden die wissenschaftlichen Grundlagen, die praktische Durchführung und die Bedeutung dieser Methode für die moderne Bienenzucht umfassend dargelegt.

Hygieneverhalten ist eine genetisch beeinflusste Eigenschaft, die durch gezielte Selektion in der Bienenzucht optimiert werden kann. Das Verfahren des Nadeltests basiert auf der künstlichen Induktion eines Stimulus, der das Hygieneverhalten der Arbeiterinnen aktiviert. Dabei wird verdeckelte Brut in einem definierten Entwicklungsstadium – idealerweise mindestens sieben Tage nach der Verdeckelung und mit violetten Augen, was einem optimalen physiologischen Zustand entspricht – mit einer feinen Insektennadel perforiert. Der Eingriff simuliert eine Verletzung oder einen Befall, auf den die Bienen durch das Öffnen und Entfernen der betroffenen Brut reagieren.

Für die Durchführung des Nadeltests werden in der Regel zwischen 50 und 100 Brutzellen ausgewählt, die in einem klar definierten Bereich der Wabe liegen. Die Markierung der Testfläche und eine präzise Dokumentation sind essenziell, um Vergleichbarkeit und Reproduzierbarkeit zu gewährleisten. Nachdem die Zellen punktiert wurden, erfolgt eine systematische Kontrolle der Reaktion der Bienen in festgelegten Zeitintervallen von 6, 12, 18 oder 24 Stunden – das Zeitfenster kann mit fortschreitender Selektion reduziert werden. Diese zeitlich gestaffelten Überprüfungen ermöglichen eine differenzierte Analyse der Ausräumaktivität und Ausräumgeschwindigkeit. Völker, die innerhalb von 24 Stunden nahezu alle geschädigten Zellen ausgeräumt haben, werden als hoch hygienisch eingestuft. Dies weist darauf hin, dass solche Völker eine erhöhte Fähigkeit besitzen, auf Krankheitserreger oder Parasiten wie die Varroa-Milbe zu reagieren, wodurch sie im Zuchtkontext besonders wertvoll sind.

Nadeltest B95(IBO)22

Die Integration des Nadeltests in züchterische Selektionsprotokolle erfordert eine systematische und standardisierte Vorgehensweise. Der Test wird idealerweise mindestens zweimal im Jahr durchgeführt, um saisonale Schwankungen im Verhalten der Bienen zu berücksichtigen. Die Testungen finden beispielsweise im Frühjahr und Spätsommer statt, da diese Perioden für die Beurteilung der Volksstärke und Gesundheit repräsentativ sind. Die Ergebnisse jeder Testung werden in detaillierten Protokollen festgehalten, die neben der Anzahl der punktierten, geöffneten und vollständig ausgeräumten Zellen auch relevante Umweltbedingungen, wie Temperatur und Volksstärke, dokumentieren. Diese systematische Dokumentation ermöglicht nicht nur die individuelle Bewertung der getesteten Völker, sondern bildet auch die Grundlage für die langfristige züchterische Optimierung ganzer Linien.

Überprüfung der Selektion mit CO²

Ein wichtiger Aspekt, der zunehmend in der wissenschaftlichen Diskussion berücksichtigt wird, ist die Möglichkeit, dass der Nadeltest eine spezifische Reaktion der Bienen auf die beim Punktieren austretende Hämolymphe hervorruft. Diese Flüssigkeit enthält alarmierende chemische Signale, die die Arbeiterinnen möglicherweise bevorzugt zur Ausräumreaktion stimulieren. Um sicherzustellen, dass nicht nur die Reaktion auf diesen spezifischen Stimulus selektiert wird, ist es ratsam, den Nadeltest mit alternativen Verfahren zu kombinieren. Ein solcher ergänzender Test ist die Trockeneis- oder CO₂-Methode, bei der verdeckelte Brut durch das Einleiten von Kohlendioxid abgetötet wird. Dieser Ansatz eliminiert das Austreten von Hämolymphe und erlaubt die Überprüfung, ob das beobachtete Hygieneverhalten tatsächlich auf die generelle Fähigkeit der Bienen zurückzuführen ist, geschädigte Brut unabhängig von chemischen Signalen zu erkennen und zu entfernen.

Die Anwendung beider Tests in Kombination bietet eine robuste Methode zur Verifizierung des Hygieneverhaltens und minimiert die Gefahr einer einseitigen Selektion. Völker, die sowohl im Nadeltest als auch bei der CO₂-Methode eine hohe Ausräumrate zeigen, können als besonders verlässlich in ihrer hygienischen Leistung betrachtet werden. Diese Vorgehensweise stärkt nicht nur die Aussagekraft der Testergebnisse, sondern gewährleistet auch eine breitere genetische Grundlage für die Weiterzucht, indem unterschiedliche Mechanismen des Hygieneverhaltens erfasst werden.

Die wissenschaftliche Bedeutung des Nadeltests und seiner Ergänzung durch alternative Verfahren liegt nicht nur in ihrer Anwendung zur Selektion hygienischer Völker, sondern auch in ihrer Rolle als Forschungsinstrument zur Untersuchung komplexer Verhaltensmerkmale bei Honigbienen. Studien, die den Zusammenhang zwischen genetischen Markern und der Ausprägung des Hygieneverhaltens untersuchen, profitieren von der präzisen und vergleichbaren Datenerhebung, die durch die Kombination verschiedener Testmethoden ermöglicht wird. Darüber hinaus trägt die systematische Anwendung dieser Verfahren dazu bei, die Abhängigkeit von chemischen Varroa-Bekämpfungsmitteln zu reduzieren, was sowohl ökologisch als auch ökonomisch von Vorteil ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Nadeltest in Kombination mit alternativen Methoden wie der Trockeneis- oder CO₂-Methode ein zentraler Bestandteil einer umfassenden und wissenschaftlich fundierten Bewertung des Hygieneverhaltens bei Honigbienen ist. Diese integrative Herangehensweise erhöht die Zuverlässigkeit der Testergebnisse und bietet eine solide Grundlage für die Selektion und Weiterentwicklung von Bienenvölkern mit ausgeprägter Hygienefähigkeit, die langfristig zur Verbesserung der Bienengesundheit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten und Parasiten beiträgt.